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02 | 2016
TierarztMagazin
Gesundheit
ist dieser Prozentsatz geringer, bei größeren Rassen höher. Bei
Boxern liegen diese Zahlen sogar bei 30% und mehr. Die
hormonell bedingte Inkontinenz ist medikamentös oft gut
therapierbar, manche Fälle sind allerdings sehr hartnäckig.
Außerdem können diese Medikamente Nebenwirkungen zur
Folge haben.
Die Frühkastration beeinflusst sowohl die körperliche als
auch die geistige Entwicklung erheblich. Die Tiere bleiben
geistig auf einer eher kindlichen Entwicklungsstufe. Sie
sind auch als erwachsene Hunde häufig verspielter, was
bei vielen Besitzern nicht negativ gesehen wird. Allerdings
gelten sie bei einigen Fachleuten auch als weniger lernfä-
hig. Blindenhunde dürfen deshalb nicht vor einem Jahr
kastriert werden. Nicht selten leiden junge Hündinnen an
einer hartnäckigen Scheidenentzündung, die sich nach der
ersten Läufigkeit verliert. Bei einer Frühkastration bleibt
diese meist lebenslang bestehen.
Soweit die Hauptargumente für und gegen eine
Kastration wie sie bis vor wenigen Jahren bekannt
waren.
Neue Untersuchungen aus den letzten Jahren über
die Auswirkung von Kastrationen haben nun ergeben,
dass diese noch andere bisher unbekannte Folgen ha-
ben kann.Zumindest für einige Rassen hat sich gezeigt,
dass eine Reihe von Erkrankungen deutlich häufiger
auftritt, als bei intakten Hündinnen. Bei einer Frühkas-
tration steigt das Risiko für eine Hüftgelenksdysplasie
um den Faktor 2 an, ebenso für die Entstehung für
Osteosarkomen(Knochentumore).Auch ein signifikant
vermehrtes Auftreten anderer orthopädischer Probleme,
insbesondere der Riss des vorderen Kreuzbandes, ist bei
kastrierten Golden Retrieverhündinnen nachgewiesen.
Es ist anzunehmen, dass auch für andere, besonders für
größere Rassen, ähnliches gilt.
Der Anteil der Hündinnen mit Schilddrüsenunter-
funktion liegt bei kastrierten Tieren wesentlich hö-
her und sie leiden mehrfach häufiger an chronisch
wiederkehrenden Blasenentzündungen.
Am schwersten wiegt aber der Umstand, dass eine Kastrati-
on offenbar die Entstehung einiger bösartiger Tumorarten
begünstigt. So soll bei den Golden Retrievern z.B. das Risiko
für Herzbasis- und Milztumore um den Faktor 3–7 ansteigen,
auch Mastzellentumore treten häufiger auf. Diese Zahlen
schwanken je nach Studie und untersuchter Rasse. In ihrer
Tendenz scheinen sie aber eindeutig zu belegen, dass durch
eine (frühe) Kastration zwar das Risiko für Mammatumore
zurückgeht, für andere Tumorarten aber im Gegenzug deut-
lich ansteigt, auch wenn diese später erfolgt.
In diesem Zusammenhang wird außerdem eine negative
Auswirkung derselben auf das Immunsystem diskutiert.
Anzumerken ist noch, dass ein fünffach höheres Risiko für
eine Erkrankung bei einer Wahrscheinlichkeit von einem
Prozent „lediglich“ einen Anstieg auf 5% bedeutet. Das
heißt, nicht alle kastrierten Hündinnen sind jetzt plötzlich
massiv vom Tode oder anderen schweren Krankheiten
bedroht (ebenso wenig wie alle unkastrierten). Es lässt sich
aber nicht wegdiskutieren, dass eine Kastration erheblich
mehr unerwünschte Nebenwirkungen haben kann und
häufiger auch hat, als noch vor wenigen Jahren bekannt
war oder allgemein vermutet wurde.
Jeder verantwortungsbewusste Hundehalter, der
vor dieser Entscheidung steht, sollte ebenso wie
wir Tierärzte auch diese neuen Erkenntnisse be-
rücksichtigen und in die Entscheidung mit einbe-
ziehen.
n
Fazit
Die Verhinderung der Läufigkeit und der damit verbundenen
Unannehmlichkeiten reicht heute als Grund für eine Kastration nicht
mehr aus.
Dennoch gibt es immer noch wichtige medizinische Gründe, die
eine Kastration rechtfertigen, in manchen Fällen auch notwendig
machen. Allerdings sollten alle Vor- und Nachteile dieses unumkehr-
baren Schrittes für jedes einzelne Tier und seine spezifische Situation
sorgfältig gegeneinander abgewogen werden. Voraussetzung ist,
dass alle Fakten dem Besitzer auch bekannt sind. Nur dann ist es
möglich für den einzelnen Fall eine fundierte und hoffentlich richtige
Entscheidung zu treffen.
Ihr Tierarzt wird Ihnen sicher mit Rat zur Seite stehen. Pauschal
lässt sich die Frage nach dem Nutzen oder Schaden einer Kastration
der Hündin nicht beantworten. Es ist immer eine Einzelfallentschei-
dung. Panikmache allerdings ist weder in der einen noch in der
anderen Richtung angebracht.
Kurt Fischer, Jahrgang 1955, führt
seit 25 Jahren eine Kleintierpraxis
in Heidelberg. Dabei interessiert er
sich insbesondere für die Geriatrie,
chronische Krankheiten und die
Kombination von Schulmedizin mit
Naturheilverfahren.
www.tierarztpraxis-fischer.de Blog:www.meinhundbleibtgesund.deKurt Fischer